James Turrell macht Licht spürbar

Mit seinen 80 Jahren denkt James Turrell noch lange nicht ans Aufhören. Kann er auch nicht. Denn sein unvollendetes Lebenswerk, der «Roden Crater», ist auch nach 50 Jahren immer noch auf seine Perfektion und Vision angewiesen.

 

Die Arbeiten von James Turrell ziehen Betrachterinnen und Betrachter weltweit in ihren Bann. In seinen Kompositionen dient Licht nicht dazu, andere Werke in Szene zu setzen. Licht selbst ist das Kunstwerk, das emotional, sinnlich und spirituell zu jedem spricht, der damit in Berührung kommt.

Jardín Botánico Culiacán, Foto von Fotografías con Limón

Erlebnis für die Sinne

Licht ist allgegenwärtig und doch nicht fassbar. James Turrell gelingt es mit seinen Kunstwerken dennoch. Seine atmosphärischen Installationen lassen Betrachterinnen und Betrachter Licht geradezu spüren. Seine Kompositionen aus natürlichem und künstlichem Licht, die Sonnenauf- und Sonnenuntergang genauso einbinden wie die jeweilige Umgebung, hinterlassen Menschen oft emotional und sogar spirituell berührt.

Rice University Houston, Foto von Cam

Das exakt aufeinander abgestimmte Spiel von Licht, Farbe, Raum und Zeit vermag es, die Grenzen zwischen Realität und Illusion zu verwischen. Das ist ganz im Sinne des Künstlers. «Die Wissenschaft verlangt nach Antworten. Kunst jedoch erfreut sich an der guten Frage.»

Within without Skyspace National Gallery of Australia, Foto von Ryan Cuerden

Von Argentinien bis Norwegen. Von der Schweiz bis hin nach China.

James Turrells Kunstwerke sind überall auf der Welt zu finden. In den 1970er Jahren begann er mit einer Werkserie, die er Skyspaces nannte. Ein Skyspace ist ein Observatorium, eine Kammer mit einer Öffnung in der Decke, durch die Besucher den Himmel beobachten können. Auf der ganzen Welt verteilt gibt es aktuell mehr als 90 solcher Tore zum Himmel. Dank programmierter Beleuchtung verwandeln sich in ihnen Sonnenauf- und -untergang vor den Augen des Betrachters. Die Tonalität der Lichter beeinflusst die Art und Weise, wie der Himmel wahrgenommen wird, und löst beim Betrachter ein ästhetisches Erlebnis aus.

Museum of Old and New Art (MONA) Tasmanien, Foto von Mahdis Mousavi

Auch im österreichischen Vorarlberg , 1’780 Meter über dem Meeresspiegel, befindet sich ein Skyspace. Oberlech Tannegg soll James Turrell bei einer Wanderung ins Auge gestochen sein und nicht mehr losgelassen haben. Der «Skyspace Lech» wurde 2018 eröffnet und ist ganzjährig über einen Wanderweg erreichbar. Inmitten eines atemberaubenden Bergpanoramas gelangen Besucherinnen und Besucher über einen 15 Meter langen Tunnel in einen Hauptraum, wo sie ein freier Blick in den Himmel erwartet – vor allem rund um Sonnenauf- und Sonnenuntergang ein unvergessliches Erlebnis. Bei guten Wetterbedingungen bleibt die Kuppel des weitgehend unterirdisch angelegten Bauwerks geöffnet. Ist die Kuppel geschlossen, wird man Teil des künstlerischen Konzepts Ganzfeldraum, in dem die eigene Wahrnehmung mehr und mehr irritiert und verzerrt wird.

Within without Skyspace National Gallery of Australia, Foto von Amelia Vu

Ähnlich spektakulär hat sich James Turrell in der Schweiz künstlerisch verewigt. An einem Sonnenhang im Engadiner Nationalpark in Zuoz fesselt ein von aussen unscheinbar wirkender Zylinder mit seinen inneren Werten umso mehr. Im «Skyspace Piz Uter» ist durch eine Öffnung in der Decke der Himmel Teil des Kunstwerks, der Übergang von Tag zu Nacht wird so zum visuelles Spektakel. Das Hotel Castell bietet geführte Kunstbesichtigungen an.

Jardín Botánico Culiacán, Foto von Fotografías con Limón

Ein besonderer Skyspace befindet sich in Mexico. Dort hat James Turrell für den Botanischen Garten in Culiacán ein Werk namens Encounter als Ellipse konstruiert, die vom Himmel aus gesehen die Form eines Auges simuliert. Als Raum der Kontemplation, Selbstbeobachtung und Reflexion verstanden, ist die Arbeit Teil des kuratorischen Diskurses, den Patrick Charpenel für den Botanischen Garten entwickelt hat. Die Kunst soll hier zum Verbündeten werden, die dem Besucher hilft, einen neuen Look zu generieren, in Reflexion und Verbindung mit dem Raum, in dem es sich befindet.

Within without Skyspace National Gallery of Australia, Foto von Ryan Cuerden

Unvollendetes Lebenswerk in Arizona

Wie viele Künstlerinnen und Künstler versucht auch James Turrell, unser oft vorurteilsbehaftetes Sehen und Empfinden herauszufordern. Sein berühmtes Spiel mit der Wahrnehmung und der Materie Licht wird nirgendwo so spürbar wie in seinem Lebenswerk «Roden Crater».

Als der Künstler in den 70er Jahren mit dem Flugzeug auf der Suche nach einem Gelände für eine vorwiegend unterirdisch angelegte Lichtinstallation war, stiess er in seinem heutigen Heimatstaat Arizona auf einen erloschenen Vulkankrater. Ein Ort, den er einen «Place of Powerful Quality» nennt, da von ihm dieselbe Magie ausgeht wie vom Gelände rund um den Machu Picchu oder von den ägyptischen Pyramiden. Schwierig, in Worte zu fassen – unmöglich, es nicht zu spüren.

Roden Crater Telescope, Foto von Steve Jurvetson (https://flic.kr/p/2mHj8FJ)

Seither errichtet James Turrell mitten in der Wüste einen Ort, der zur Betrachtung und Selbstbetrachtung einladen soll. Das unterirdische Tunnelnetz, in dem er nach astronomischen Berechnungen Himmelsobservatorien konzipiert, die auch die Veränderungen von Jahreszeiten und Wetterbedingungen miteinbeziehen, ist bisher nur für wenige Privilegierte zugänglich. Die, die es erlebt haben, können es jedoch nicht mehr vergessen.

 

Meister des Lichts aus Berufung

James Turrell inszeniert die Kraft von Licht wie kein anderer. Immer wieder fordert er sich selbst heraus und in weiterer Folge auch alle, die mit seinen Werken in Berührung kommen. Als Visionär und Perfektionist beweist er eindrücklich, dass Licht viel mehr sein kann, als es unsere Vorstellungskraft oft erlaubt. Eine Vision, in der sich Sky-Frame wiederfindet.  Rahmenlose Fenster mit schwellenlosem Übergang öffnen einen Raum hin zur umgebenden Natur und zum Licht. Diese Verschmelzung von Innen und Aussen macht das Licht zu einem faszinierenden Gestaltungselement der Architektur: Inside outside living.

 

Text: Linkgroup, Julia Kliewer

Im Alter von 23 Jahren begann James Turrell mit Licht zu experimentieren. Heute findet man seine Werke auf jedem Kontinent. Der amerikanische Meister des Lichts spielt mit optischen und wahrnehmungspsychologischen Gesetzen, um ganzheitlich vereinnahmende Erlebnisse zu schaffen, die man nicht mehr vergisst. 1943 wurde James Turrell in Los Angeles in eine streng gläubige Quäkerfamilie geboren. Im Alter von 16 Jahren machte er bereits seinen Flugschein, studierte Mathematik und Psychologie, um sich später vollständig der Kunst und seiner Faszination, dem Licht, zu verschreiben. Heute lebt und arbeitet er im amerikanischen Arizona und immer wieder rund um den Globus, wo seine rund 90 Kunstwerke zu bestaunen sind. In den 60ern begann der US-Amerikaner, Lichträume zu schaffen. Seit den 70er-Jahren haben es ihm Skyspaces angetan: Zum Himmel geöffnete Baukörper, mit denen Turrell Gebäude und Landschaft, Kultur und Natur, Erschaffenes und Existierendes zu einzigartigen Kunstwerken vereint.